David Hansemann
Geboren 1790 in Hamburg (Heiliges Römisches Reich deutscher Nation)
Gestorben 1864 in Schlangenbad (Nassau - Deutscher Bund)
Konfession: evangelisch
D.H. war das jüngste von elf Kindern eines Hamburger Pastors. Er wurde mit 14 Jahren als Kaufmann ausgebildet, weil eine andere Ausbildung durch die Familie nicht zu finanzieren gewesen wäre.
Von seinem Bruder wurde er zusätzlich täglich zwei Stunden vor Beginn der Arbeit in Englisch und Französisch unterrichtet. Er arbeitete in verschiedenen Stellungen im damals französischen Rheinland. Mit 27 Jahren machte er sich mit einem Eigenkapital von 1000 Francs als Wollhändler in Aachen selbständig. Das Unternehmen war offenbar sehr intelligent geplant. Bereits nach wenigen Jahren war D.H. ein vermögender Mann. Er widmete von da ab seine Arbeitszeit zunehmend öffentlichen Angelegenheiten (Handelskammer, Gemeinderat) und innovativen Geschäftskonzepten (Aachener Versicherungsgesellschaft), deren halber jährlicher Gewinn sozialen Zwecken nach dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ (Sparkassen, Kinderverwahranstalten. Arbeitshäusern) zuflossen. Hansemann war gegenüber den Pauperisierungserscheinungen (=Verarmung) bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum sehr besorgt. Er hatte erlebt, wie 1831 eine Menge plündernder Weber in Eupen das Haus seiner Schwiegereltern in Brand gesetzt hatte.
D.H. hielt es schon aus rein aus ökonomischen Gründen für unverzichtbar, daß das Bürgertum an den Angelegenheiten des Staates beteiligt würde, und diese nicht einer Beamtenkaste und den Interessen der grundbesitzenden Klasse überlassen blieben. Er war auf verschiedenen Ebenen Abgeordneter, verfaßte Denkschriften und war außerdem Vizepräsident der Rheinischen Eisenbahngesellschaft. D.H. stieß auf sehr großes öffentliches Interesse und wurde gerade auch als weitsichtiger Eisenbahnexperte hoch geschätzt. Die erste Auflage des Brockhaus von 1839 widmete ihm bereits einen Artikel.
Im Gegensatz zu den süddeutschen Liberalen war Hansemann gegen das gleiche Wahlrecht. Er befürwortete (als pragmatischer Kaufmann ohne akademisch universelle Bildung) ein Zensuswahlrecht, das nach dem Steueraufkommen gestaffelt war, weil dadurch diejenigen über das Geld bestimmen konnten, die auch zahlten. Sozialpolitik war für ihn selbstverständlich um der von einer verarmten Unterschicht ausgehenden Gewalt vorzubeugen. Andererseits hielt D.H. -hier weitsichtig und im Gegensatz zu fast allen anderen achtundvierziger Liberalen, Demokraten und Republikanern, die mittelschichtsorientiert waren,- die Entstehung eines Industrieproletariats für eine unvermeidliche Begleiterscheinung des Industrialisierungsprozesses.
Infolge der Märzrevolution wurde er unter Camphausen preußischer Finanzminister und nach dessen Ausscheiden im Juni 1848 de facto Regierungschef.
„Hansemann brach zielbewußt mit dem patriarchalischen Finanzgebaren Preußens und wies dem Staat völlig neue Funktionen und die letztendliche Verantwortung für das Wirtschaftsleben zu.“1 Er förderte durch seine Maßnahmen moderne private Aktienbanken, deregulierte den vorher bürokratisch reglementierten Bergbau mit dem Ziel, möglichst schnell möglichst viel Kohle für die Entwicklung der heimischen Industrie zu fördern, und leitete ein großes Eisenbahnbauprogramm des preußischen Staates ein. Für seine Berliner Regierung 1848 prägte er das später oft wiederholte Etikett „Regierung der Tat“. Geschickt stellte er sie damit der relativ machtlosen Zentralgewalt von Frankfurt gegenüber.
D.H. kooperierte geschmeidig mit der linken Mehrheit der preußischen Nationalversammlung und konnte sich gegen die reaktionären Beraterkreise des Hofes lange Zeit durchsetzten. Als das Parlament einen Beschluß herbeiführte, der der Armee jede Kooperation mit reaktionären Kräften verbot, weigerte sich Hansemann, diesen Beschluß durchzusetzen, weil er genau wußte, daß dergleichen nicht durchzusetzen war sondern nur zu einer sonst möglicherweise zu vermeidenden Konfrontation führen würde, die das Parlament nicht gewinnen konnte. Seine Regierung stürzte am 8. September 1848. Der König ernannte Hansemann nach seinem Rücktritt zum Präsidenten der Preußischen Bank (d.i. die Zentralnotenbank Preußens). 1851 wurde er Opfer des reaktionären Klimas und verlor diesen Posten. Hansemann blieb bis 1852 auch prominentes Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses.
Seine Tätigkeit zum Gemeinwohl und in öffentlichen Ämtern war ethisch bedingt und brachte ihm keine persönlichen finanziellen Vorteile. Infolge der Vernachlässigung seiner privaten Geschäfte während seiner Ministerzeit ging sein Aachener Unternehmen bankrott, während dem preußischen Staat infolge seiner geschickten Finanzpolitik im Gegensatz zum österreichischen der Staatsbankrott erspart blieb. Nach seinem Rückzug aus dem politischen Leben baute er die Disconto-Gesellschaft in Berlin auf (nach belgischem Vorbild), 1862 die erste preußische Hypotheken-Aktienbank, und er wurde einer der führenden deutschen Bankiers. In seinen letzten Jahren wurde D.H. in Preußen zu einem politischen Einzelgänger. Er forderte einen größeren Deutschen Bund mit Österreich, der durch Schutzzölle seine Märkte vor ausländischer Konkurrenz schützen sollte, während die große Mehrheit der rheinischen Liberalen sich für ein kleindeutsches Reich und den Freihandel einsetzten (siehe Beckerath).
Von D.H. wird das noch heute gebräuchliche geflügelte Wort überliefert: „Bei Geldfragen hört die Gemütlichkeit auf.“
1 Boch, Rudolf, „David Hansemann: Das Kind der Industrie“ in: Sabine Freitag (Hrsg.) Die Achtundvierziger -Lebensbilder aus der deutschen Revolution 1848/49 München 1998 S. 182
Gerhard-Hermann Kuhlmann 15.11.2004 (Version 1.0)