23. - 27. Juni 1848 Arbeiteraufstand in Paris
Am 23. April 1848 waren nach gleichem und geheimen Wahlrecht mit einer Wahlbeteiligung von 84% die 870 Abgeordneten der verfassunggebenden Nationalversammlung gewählt worden. Einer etwa 60%-Mehrheit von liberalen Republikanern saßen etwa 30% Monarchisten gegenüber. Die in der ersten Revolutionsphase führende Linke war mit circa 10% der gewählten Abgeordneten in eine Außenseiterrolle geraten. Die wirtschaftliche Not war groß. Die Revolution hatte zum Rückgang der Produktion und des Verbrauchs geführt. Die neu eingeführte 45-Centimes Steuer1 bremste den Konsum und belastete die kleinen Landbesitzer. Die Zahl der Arbeiter in den Nationalwerkstätten in Paris stieg bis Ende Mai auf über 100.000. Die Zeit für sozialistische Experimente war vorbei. Im Juni wurde der Beschluß gefaßt, die Nationalwerkstätten aufzulösen, die jüngeren Männer zur Armee einzuziehen und die älteren in die Provinz umzusiedeln. Die Arbeiter betrachteten das als Kriegserklärung und errichteten Barrikaden. Unter der Führung des republikanischen Generals Cavaignac wurden die Aufstände blutig niedergeworfen.
„Die »Junischlacht« (23.-26. Juni) dauerte vier Tage: die Eroberung einer Hälfte von Paris, Barrikade nach Barrikade, von der anderen her, unter greulichem Morden, in wechselseitig gesteigerter Wut. Am Ende lagen ganze Stadtviertel in Asche, die Toten hat niemand gezählt: Schätzungen gingen von zwölf- bis fünfzigtausend.“2
Die Überlebenden erwarteten Prozesse und Deportationen nach Algerien. Die Nationalwerkstätten wurden aufgelöst und das Recht auf Arbeit wurde nicht in die am 4. November beschlossene neue Verfassung aufgenommen.
Mit der „Junischlacht“ hatte die Revolution in ganz Europa ihre sozial versöhnende Komponente verloren. Das Vertrauen darin, daß Republik, Verfassung und Menschenrechte eine Lösung auch für die soziale Frage bedeuteten, war im Bewußtsein vieler Zeitgenossen verloren gegangen. Daß gerade entschiedene Republikaner, die für das allgemeine Wahlrecht, für allgemeine Menschenrechte und gegen Monarchenwillkür eintraten, mit äußerster Entschlossenheit und brutaler Gewalt gegen Arbeiter kämpften, also genau das taten, wovor König Louis Philippe im Februar zurückgeschreckt war, hat das weitere politische Klima in ganz Europa beeinflußt und signalisierte den Bruch zwischen einer schließlich sozialistischen Arbeiterbewegung und der republikanisch-demokratischen Linken.
1 Um den Staatsbankrott abzuwenden, beschloß die provisorische Regierung am 16. März eine Erhöhung der direkten Steuern um 45%. Das traf alle, die etwas besaßen, besonders hart kleine Immobilienbesitzer, die ihr Eigentum nicht vor den Steuerbehörden verbergen konnten.
2 Golo Mann: Politische Entwicklung Europas und Amerikas 1815-1871, in Propyläen-Weltgeschichte, Bd. 8, S. 485, Frankfurt am Main 1976
Gerhard-Hermann Kuhlmann 25.11.2004 (Version 1.0)