Revolution und Bürgerschreck
“1848“ ist ein lehrreiches und interessantes Spiel
Von Tom Werneck
Erstaunlicherweise sind meine Geschichtskenntnisse ausgerechnet um die Mitte des letzten Jahrhunderts herum ausgesprochen dürftig. Aber schließ1ich sind Sie vermutlich auch nicht viel besser dran. Oder wissen Sie vielleicht, daß Julius Fröbel den Demokraten in Thüringen zuzurechnen ist, Carl Schurz ein Republikaner war oder Friedrich Christoph Dahlmann ein Liberaler in Schleswig-Holstein? Na, siehste! Ich bin inzwischen historisch sattelfest. Das Spiel “1848“ macht es nämlich möglich.
Europa in Aufruhr. Bürgerkriege, Revolutionen Rund drei Dutzend Monarchen wollen die bestehende kleinstaatlerische Ordnung erhalten. Liberale Kräfte verlangen Pressefreiheit, fordern Versammlungsrecht, klagen unveräußerliche Menschenrechte ein. Wir wissen, wie die Geschichte verlaufen ist. Aber wissen wir auch, was aus diesem explosiven Gemisch hätte werden können, wenn die anfänglich erfolgreiche Revolution nicht an kleinlichen nationalistischen Egoismen gescheitert wäre?
Wir können es uns kaum vorstellen, was gewesen wäre, wenn... Aber wir können es ausprobieren, wie sich die politischen Machtverhältnisse vielleicht hätten entwickeln können. Wenn zum Beispiel die reaktionären Kräfte von den Republikanern ausgebootet worden wären. Oder wenn die Liberalen mit den Demokraten...
Jeder der beiden Spieler bekommt zwei Personenkarten und zwei Zusatzkarten. Auf dem Tisch liegt eine Karte als Rundenzähler. Es ist quasi die Trennlinie zwischen den politischen Gegnern. Einer spielt eine Personenkarte aus. Die zeigt nicht nur irgendeine bekannte Persönlichkeit der damaligen Zeit, von der wir bisher noch nie etwas gehört haben oder wenn, dann lediglich in Form eines inhaltsleeren Straßennamen , sondern außerdem noch seine politische Zugehörigkeit. Ein Punktwert gibt an, wie bedeutend und einflußreich die Person war.
Nun ist es am Gegenspieler, eine Karte auszulegen. Das kann ebenfalls so eine Gestalt aus dem damaligen Politgeschehen sein, die er nun auf seiner Seite vor den Rundenzähler legt. Oder er spielt eine Zusatzkarte, die zum Beispiel den Wert des Gegenkandidaten beeinträchtigt. Ein bösartiger satirischer Angriff etwa kann die Reputation eines sonst ehrenwerten Mandatsträgers zugrunde richten. Oder eine Pressekarte, die ausdrückt, daß jemand vor Angriffen in Schutz genommen wird.
Es geht nicht lange, bis die beiden Kontrahenten ihre vier Karten abgespielt haben. Dann kommt es zur Abrechnung. Man stellt fest, welche Partei insgesamt nach Zurechnung oder Abzug aller Einflußpunkte, den höchsten Wert hat, und zwar von beiden Spielern zusammengenommen. Alle anderen Karten scheiden aus.
Nun kommt der eigentliche Witz: Wer von der obsiegenden Partei mehr Einflußpunkte auf seiner Seite hat, bekommt auch die Punkte des Gegenspielers zugerechnet. Das ist zwar nicht ganz gerecht, aber an Gerechtigkeit glaubt bei den politischen Zeitläuften heutzutage ohnehin kaum noch jemand. So wird also Runde um Runde abgespielt, bis die Rundenzähler aufgebraucht sind. Dann obsiegt, wer die meisten Punkte gesammelt hat. Die Resultate sind etwa so unerwartet wie bei uns die Ergebnisse von beliebigen Wahlen.
Reizvoll ist es schon, sich mit all den Namen und Gestalten zu befassen, die dieser Epoche ihre Richtung gaben. Die Karten, akribisch aufbereitet, setzen Impulse, den einen oder anderen Namen im Lexikon nachzuschlagen oder überhaupt mal wieder ein Geschichtsbuch in die Hand zu nehmen.
Die Karten tragen Symbole und Kennzeichnungen, die im Spiel gar nicht gebraucht werden. Treuherzig verspricht der Hersteller, dazu werde demnächst eine Erweiterungsregel nachgereicht. Auch nicht schlecht. Aber gut spielbar ist “1848“ bereits jetzt schon.
Frankfurter Rundschau 9.Januar 1999 Seite M9
Zuerst abgedruckt in „Nordwestzeitung und Ostfriesenecho“
„Was wäre geschehen , wenn ...? "1848". Ein Geschichtsspiel rund um die Revolution macht historisch sattelfest 1848 v. 23.12.98