Aufzeichnungen von Martha Teutmeyer aus den Jahren 1946 - 1951
15. April 1948
Vor einer Stunde, nachmittags ¾ fünf ist der alte Müller in der alten Leibzucht gestorben. Vor mehr als 30 Jahren, im ersten Weltkrieg kam er mit 1 oder 2 Töchtern aus Lodz bis nach Schmedissen. Kurz darauf kam seine übrige Familie nach und zog mit sämtliche
n Kindern in’s alte Haus. Olga, die älteste Tochter heiratete einen belgischen Kriegsgefangenen und zog nach Brüssel. Melitta, die zweite starb an den Folgen einer Geburt und verblutete. Oskar, der älteste Sohn, zog mit seiner Frau (Hedwig aus Schlesien) auf den Warweg. Klara und Berta verheirateten sich in Detmold, Irma nach Jerxen und Richard, der jüngste Sohn heiratete in eine Heiligenkirchener Familie.
Am Montag vor 2 Jahren starb die Frau (12.IV. 46), die die letzten Jahre blind war, nach längerem Krankenlager und der alte Müller hauste nun allein im alten Hause, von Richard’s und Oskars Familie getrennt. Früher, als ich noch arbeiten konnte, hat er mir viel im Garten geholfen und dann war er auf allen Ernetfesten mit seiner Ziehharmonika der Musiker. Die letzten Jahre allerdings mußte sein Sohn Richard schon für ihn einspringen. Nun hat er gestern Mittag, einen Tag nach seinem 79sten Geburtstag einen Schlaganfall gekriegt und ist heute Nachmittag daran und an einer hinzugetretenen Lungenentzündung gestorben. Auch er gehört zur Teuthofgeschichte.
18 . April 1948 (Sonntag)
Nun ist der alte Müller beerdigt. Es war ein wunderschöner Frühlingssonntag und alle Obstbäume blühten. Noch ein letztes mal sah das alte Haus eine der schönen Müllerschen Familienfeiern, die ihnen bei allen Gelegenheiten so wohl anstanden. Der Sarg stand auf der Diele, von wo schon so mancher Sarg hinausgetragen wurde. Die ganze Müllersche Nachkommenschaft war da. Der Pastor hat ein sehr helles Organ, sodaß man bei mir, wo Ulla und ich am Fenster meines Zimmers saßen, jedes Wort der Leichenrede verstehen konnte. „Daß sie auffahren mit Flügeln wie die Adler.“ Zwar schien uns das Wort nicht so ganz zu dem alten Müller und seinem Wesen zu passen, aber der Trauergemeinde hat es gewiß gut gefallen. Und als das alte Haus seinen letzten Bewohner entließ, entwickelte sich ein ungewöhnlich langer Trauerzug, um den alten Müller zum Friedhof zu bringen, auch Hans und Eva als Vertreter des Hofes dabei, weil Fritz seines Rheumatismus wegen nicht mitgehen konnte. Nach der Rückkehr der Trauergäste ging noch einmal ein ruhiges Leben im alten Hause an. Es schwirrte und zwitscherte innen und außen, die Kinder spielten und die Erwachsenen erzählten und redeten angeregt, aber ohne laut zu werden. Man könnte seine reine Freude an diesem Ausklang des Lebens haben, wo ein Mensch, der seinen Teil der Arbeit geleistet hatte, den anderen Platz machte und wo der Tod nur ein Teil des Lebens war. Abends lag das alte Haus wieder ruhig wie immer und wartet nun wohl, was mit ihm geschehen soll.