Aufzeichnungen von Martha Teutmeyer aus den Jahren 1944 - 1951
6.April 1945
Fritz und ich fahren mit der zugelaufenen, braunen Stute und dem Bollerwagen zur Oberen Mühle, um Korn gegen Mehl zu tauschen. Als wir am Hause vorbeikommen, mühen sich eben zwei Amerikaner vergeblich Hans' Motorrad in Gang zu bringen. Vorher, der Obere Müller bittet uns, ihm in Johanettental Hafer zu besorgen, der dort verkauft würde. Auf dem Wege dahin sehen wir in der Neustadt Unmengen von Glas und Schutt von der Artilleriebeschiessung, desgleichen am Lippischen Hof. In der Hornschen Straße ziehen Gespanne, Handwagen und Fußgänger mit Säcken in fast geschlossenen Kolonnen auf der rechten Strassenseite, während links die Fahrzeuge vollbeladen zurückkommen. Auf Johanettental sehen wir, daß es sich nicht um Haferkauf, sondern um zügelloses Abfahren ungewogenen und unbezahlten Hafers handelt, wir sehen eine Weile dem Treiben zu und fahren dann ohne Hafer nach Hornoldendorf zu Steins. (Unterwegs sehen wir einen toten Schäferhund im Felde liegen.) Bei Steins erfahren wir, daß sie vollkommen unbeschädigt durch alles hindurch gekommen sind und noch keine Amerikaner gesehen haben.
Nachmittags ziehen die Amerikaner aus unserem Hause ab und entschuldigen sich noch, daß sie nicht mehr alle Räume aufräumen und ausfegen konnten. Wir sind erstaunt wie glimpflich uns der "Feind" behandelt hat. Zwar ist die Räucherkammer leer, Schinken, Speck und Würste sind verschwunden, auch mein kleines Radio, Evas geliebte Ziehharmonika und das Koffergrammophon sind nicht mehr da. Durchräumt und durchsucht sind alle Fächer und Schubladen, sämtliche Schlüssel abgezogen und versteckt. Aber wenn man hört, in welchem Zustand manche Häuser wiedergefunden wurden, dann kann man nur sagen, daß man uns äußerst gelinde behandelt hat. So läuft sich allmählich ein verhältnismäßig normales Leben wieder ein. Für uns ist der Krieg vorbei, wir denken nur mit Sorgen an Hans und Ulla. Wo wird Ulla der weiterrollenden Kriegswalze begegnen oder ausweichen. Wann wird die Magdeburger Gegend überrannt werden? Wo mag Hans sein? Ist er in russische Gefangenschaft geraten? Eben noch vom Rundfunk - wenn auch einseitig -orientiert, ist man plötzlich von allem Geschehen abgeschnitten, hört noch fernhin die Artillerietätigkeit an der Weser und ist im übrigen auf Gerüchte angewiesen, die in verwirrender Fülle herumfliegen. Auch fangen die russischen und polnischen Arbeiter an sich als Mitsieger zu fühlen und uns entsprechend zu begegnen. So feige sie vor dem Erscheinen der Amerikaner uns an der Schürze hingen, so misstrauisch, hinterlistig und frech kommen sie jetzt mit allen möglichen Forderungen. Herr Vogt zeigt sich mit seinen russischen und polnischen Sprachkenntnissen als wertvolle Hilfe bei Verhandlungen. Wir sind heilfroh, als nach einigen Wochen die ganze Bande ins Lager nach Augustdorf gebracht werden kann und machen sogar gute Miene zum bösen Spiel als sie sämtliches Bettzeug von den Hofbetten, und Anderes einfach mitnehmen. Herr Vogt und Herr Krämer, der aus amerikanischer Gefangenschaft entflohen, Anfang April ankam, machten die ersten landwirtschaftlichen Arbeiten. Hinzu kommen Heinz Müller, Herr Müller (später Wohnungsamt) und ein Herr Heckmann, der aber nach kurzer Zeit von den Amerikanern als ehemaliger Kreisleiter aufgestöbert und weggeholt wird. Täglich kommen jetzt flüchtige Soldaten durch und werden verpflegt.